Abschied


Unangeklopft ein Herr tritt abends bei mir ein:

"Ich habe die Ehr, Ihr Rezensent zu sein."

Sofort nimmt er das Licht in die Hand,

Besieht lang meinen Schatten an der Wand,

Rueckt nah und fern: "Nun, lieber junger Mann,

Sehn Sie doch gefaelligst mal Ihre Nas so von der Seite an!

Sie geben zu, dass das ein Auswuchs is."

- Das? Alle Wetter - gewiss!

Ei Hasen! ich dachte nicht,

All mein Lebtage nicht,

Dass ich so eine Weltsnase fuehrt’ im Gesicht!!

 

Der Mann sprach noch verschiednes hin und her,

Ich weiss, auf meine Ehre, nicht mehr;

Meinte vielleicht, ich sollt ihm beichten.

Zuletzt stand er auf; ich tat ihm leuchten.

Wie wir nun an der Treppe sind,

Da geh ich ihm, ganz froh gesinnt,

Einen kleinen Tritt,

Nur so von hinten aufs Gesaesse, mit -

Alle Hagel! ward das ein Gerumpel,

Ein Gepurzel, ein Gehumpel!

Dergleichen hab ich nie geschn,

All mein Lebtage nicht gesehn

Einen Menschen so rasch die Trepp hinabgehn!



(* 1804-09-08, † 1875-06-04)



Weitere gute Gedichte von Eduard Mörike zum Lesen.