Der Glockenguss zu Breslau


War einst ein Glockengießer

Zu Breslau in der Stadt,

Ein ehrenwerther Meister,

Gewandt in Rath und That.

 

Er hatte schon gegossen

Viel Glocken, gelb und weiß,

Für Kirchen und Kapellen

Zu Gottes Lob und Preis.

 

Und seine Glocken klangen

So voll, so hell, so rein:

Er goss auch Lieb′ und Glauben

Mit in die Form hinein.

 

Doch aller Glocken Krone,

Die er gegossen hat,

Das ist die Sünderglocke

Zu Breslau in der Stadt.

 

Im Magdalenenthurme

Da hängt das Meisterstück,

Rief schon manch starres Herze

Zu seinem Gott zurück.

 

Wie hat der gute Meister

So treu das Werk bedacht!

Wie hat er seine Hände

Gerührt bei Tag und Nacht!

 

Und als die Stunde kommen,

Dass Alles fertig war,

Die Form ist eingemauert,

Die Speise gut und gar:

 

Da ruft er seinen Buben

Zur Feuerwacht herein:

Ich lass′ auf kurze Weile

Beim Kessel dich allein.

 

Will mich mit einem Trunke

Noch stärken zu dem Guss;

Das giebt der zähen Speise

Erst einen vollen Fluss.

 

Doch hüte dich, und rühre

Den Hahn mir nimmer an:

Sonst wär′ es um dein Leben,

Fürwitziger, getan!

 

Der Bube steht am Kessel,

Schaut in die Gluth hinein:

Das wogt und wallt und wirbelt,

Und will entfesselt sein.

 

Und zischt ihm in die Ohren,

Und zuckt ihm durch den Sinn,

Und zieht an allen Fingern

Ihn nach dem Hahne hin.

 

Er fühlt ihn in den Händen,

Er hat ihn umgedreht:

Da wird ihm angst und bange,

Er weiß nicht, was er thät.

 

Und läuft hinaus zum Meister,

Die Schuld ihm zu gestehn,

Will seine Knie′ umfassen

Und ihn um Gnade flehn.

 

Doch wie der nur vernommen

Des Knaben erstes Wort,

Da reißt die kluge Rechte

Der jähe Zorn ihm fort.

 

Er stößt sein scharfes Messer

Dem Buben in die Brust,

Dann stürzt er nach dem Kessel,

Sein selber nicht bewusst.

 

Vielleicht, dass er noch retten,

Den Strom noch hemmen kann: -

Doch sieh, der Guss ist fertig,

Es fehlt kein Tropfen dran.

 

Da eilt er, abzuräumen,

Und sieht, und will′s nicht sehn,

Ganz ohne Fleck und Makel

Die Glocke vor sich stehn.

 

Der Knabe liegt am Boden,

Er schaut sein Werk nicht mehr.

Ach, Meister, wilder Meister,

Du stießest gar zu sehr!

 

Er stellt sich dem Gerichte,

Er klagt sich selber an:

Es thut den Richtern wehe

Wohl um den wackern Mann.

 

Doch kann ihn Keiner retten,

Und Blut will wieder Blut:

Er hört sein Todesurthel

Mit ungebeugtem Muth.

 

Und als der Tag gekommen,

Dass man ihn führt hinaus,

Da wird ihm angeboten

Der letzte Gnadenschmaus.

 

Ich dank′ euch, spricht der Meister,

Ihr Herren lieb und werth,

Doch eine andre Gnade

Mein Herz von euch begehrt.

 

Lasst mich nur einmal hören

Der neuen Glocke Klang!

Ich hab′ sie ja bereitet:

Möcht′ wissen, ob′s gelang.

 

Die Bitte ward gewähret,

Sie schien den Herrn gering,

Die Glocke ward geläutet,

Als er zum Tode ging.

 

Der Meister hört sie klingen,

So voll, so hell, so rein:

Die Augen gehn ihm über,

Es muss vor Freude sein.

 

Und seine Blicke leuchten,

Als wären sie verklärt:

Er hatt′ in ihrem Klange

Wohl mehr als Klang gehört.

 

Hat auch geneigt den Nacken

Zum Streich voll Zuversicht;

Und was der Tod versprochen,

Das bricht das Leben nicht.

 

Das ist der Glocken Krone,

Die er gegossen hat,

Die Magdalenenglocke

Zu Breslau in der Stadt.

 

Die ward zur Sünderglocke

Seit jenem Tag geweiht:

Weiß nicht, ob′s anders worden

In dieser neuen Zeit.



(* 1794-10-07, † 1827-10-01)



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