Das Lied der Blume


Ich bin ein Wort, das die Natur gesprochen

Und dann zurückgenommen

In ihrem Herzen barg,

Um es ein zweites Mal zu äußern.

Ich bin ein Stern, der einst vom blauen Himmel

Auf einen grünen Teppich fiel.

 

Ich bin der Elemente Tochter:

Im Winter getragen,

Vom Frühling geboren,

Erzogen vom Sommer;

Der Herbst legt mich zur Ruh.

 

Ich bin ein Geschenk für Liebende

Und eine Hochzeitskrone.

Ich bin die letzte Gabe der Lebenden an die Toten.

 

Wenn der Morgen kommt,

Künden ich und der Wind

Vom Licht.

Und am Abend sagen die Vögel und ich ihm Lebewohl.

 

Ich schwebe über den Ebenen

Und verschönere sie.

Ich schicke meinen Wohlgeruch in die Lüfte.

Ich umarme den Schlummer,

Und die mannigfaltigen Augen der

Nacht blicken lange auf mich.

Ich such das Erwachen, um auf das Einzige

Auge des Tages zu schau′n.

 

Ich trinke von des Taues berauschendem Nass

Und höre der Amsel Lied.

Ich tanze zum Rhythmus des sich wiegenen Grases

Und blicke immer zum Himmel, das Licht zu sehen,

Nicht, um darin mein Bild zu betrachten.

Dies ist eine Weisheit, die der Mensch noch nicht kennt.



(* 1883-01-06, † 1931-04-10)



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