Eisblumen


I.

 

Im Winter, wenn sich erdenwärts

Die eisigen Flocken schwingen,

Da soll das liebende Sängerherz

In Liedern hell erklingen.

 

Da sollen die Freuden der Frühlingszeit,

Die jubelnd ins Herz gezogen,

Aus Liedern klingen mit Seligkeit

Auf goldenen Sangeswogen.

 

Da soll aus den Keimen, die traumverhüllt,

Im Lenz in die Herzen gefallen,

Mit Liederblüten, dufterfüllt,

Ein klingender Frühling wallen.

 

Da sollen der Erde eisigen Traum

Die Sänger jubelnd versingen,

Und in den trüben, kalten Raum

Den Frühling der Lieder bringen.

 

II.

 

Entfalte deinen Blütenglanz,

Du volles Liederleben,

Du sollst der Erde einen Kranz

Aus Liedern, für Blumen geben.

 

Es hat der Wald ja aufgehört

Zu blühen und zu klingen,

O Herz, nun kannst du ungestört

Blühn und jubeln und singen.

 

Im Frühling singt die Nachtigall -

Da mußt du wieder schweigen;

Nun kannst du mutig deinen Schall

Und deine Blüten zeigen!

 

III.

 

Du arme Wiese, du öder Wald,

Ihr blättelosen Bäume,

Wie hat der Herbst so bald, so bald

Vernichtet eure Träume.

 

Wie hat der Sturm so baldd verweht

Den Traum der Blätter und Blüten,

Und Lust und Leben und alles vergeht

In des Wintersturmes Wüten.

 

Und hätte nicht das Sängerherz

Sich ewigen Frühling erworben,

Wer trüge den großen, langen Schmerz,

Daß Blumen und Lieder gestorben.

 

lV.

 

Entringe dich der Trauer

In kalter Winternacht,

Es flieht des Frostes Schauer -

Der Geist der Liebe wacht.

 

Es löschte die Blütenflammen

Des Wintersturmes Gebraus,

Doch er streute auch die Samen

Zu neuem Leben aus.

 

V.

 

Nun stelle deinen Zweifel ein

Und all dein Widerstreben,

Und glaube jetzt, und füge dich drein -

Es gibt ein Geisterleben!

 

Im Traum hat eine Nachtigall

Mir laut ins Herz geflötet,

Und mir träumte von den Blumen all,

Die der kalte Winter getötet.

 

Da kamen im Traume still und bleich

Die Blumengeister gezogen,

Und hauchten mich an und verschwanden zugleich

Und schwebten und webten und flogen.

 

Und Morgens, als ich aufgewacht,

Da standen sie eisig am Fenster,

In kalter, schimmender Geistertracht

Die weißen Blumengespenster.



(* 1819-08-20, † 1904-05-30)



Weitere gute Gedichte von Hermann Rollett zum Lesen.