Der Mai


Der Nachtigall reizende Lieder

Ertönen und locken schon wieder

Die fröhlichsten Stunden ins Jahr.

Nun singet die steigende Lerche,

Nun klappern die reisenden Störche,

Nun schwatzet der gaukelnde Staar.

 

Wie munter sind Schäfer und Heerde!

Wie lieblich beblümt sich die Erde!

Wie lebhaft ist jetzo die Welt!

Die Tauben verdoppeln die Küsse,

Der Entrich besuchet die Flüsse,

Der lustige Sperling sein Feld.

 

Wie gleichet doch Zephyr der Floren!

Sie haben sich weislich erkoren,

Sie wählen den Wechsel zur Pflicht.

Er flattert um Sprossen und Garben;

Sie liebet unzählige Farben;

Und Eifersucht trennet sie nicht.

 

Nun heben sich Binsen und Keime,

Nun kleiden die Blätter die Bäume,

Nun schwindet des Winters Gestalt;

 

Nun rauschen lebendige Quellen

Und tränken mit spielenden Wellen

Die Triften, den Anger, den Wald.

 

Wie buhlerisch, wie so gelinde

Erwärmen die westlichen Winde

Das Ufer, den Hügel, die Gruft!

Die jugendlich scherzende Liebe

Empfindet die Reizung der Triebe,

Empfindet die schmeichelnde Luft.

 

Nun stellt sich die Dorfschaft in Reihen,

Nun rufen euch eure Schalmeien,

Ihr stampfenden Tänzer! hervor.

Ihr springet auf grünender Wiese,

Der Bauerknecht hebet die Liese,

In hurtiger Wendung, empor.

 

|Nicht fröhlicher, weidlicher, kühner

Schwang vormals der braune Sabiner

Mit männlicher Freiheit den Hut.

O reizet die Städte zum Neide,

Ihr Dörfer voll hüpfender Freude!

Was gleichet dem Landvolk an Muth?



(* 1708-04-23, † 1754-10-28)



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