Friedenstempel


1.

 

Wirklich, des Friedens Tempel ist noch der Tempel des Friedens,

Und die heutige Welt schließt an die alte sich an.

Wo der Römer bejahte, da hört man »Yes Sir« die Menge,

Und im Tempel geht′s noch leidlich und »very well« zu.

 

2.

 

Was, wo das Alterthum dem Frieden Altäre geweihet,

Trägt die Nachwelt des Streits glühende Fackel hinein?

Welch ein Geräusch? Ist Marius wieder, ist Cäsar gekommen,

Droht Catilina mit Tod, Feuer und Knechtschaft der Stadt?

Um Vergebung, der Tag ist zu heiß, und ein Haufen Minenti

Findet′s im Heiligthum selber zum Mora bequem.

 

3.

 

Auch auf der Vorwelt Grab erblüht noch lebendige Schönheit,

Und aus gebrochnem Gestein äugeln noch Blümchen hervor.

Jene Tage sind hin, wo der Mensch sich in rühmlichem Frieden

Mit dem Bruder, sich selbst, und den Unsterblichen sah.

Freilich hat die zerstörende Zeit mit den stärkeren Menschen

Ihre Werke, sogar Tempel und Gräber zerstört,

Und das gewaltige Haus des Friedens stürzte zu Trümmer,

Aber den Trümmern umblüht Lorbeer und Myrthe die Stirn.

 

4.

 

Friedenstempel, du bist vor allem nah mir am Herzen,

Ach dein Schicksal hab′ ich mehr, als mir gut war, gefühlt.

Einst auch wölbte sich mir ein seliger Himmel voll Frieden,

Und mein glückliches Herz war ihm zum Tempel geweiht.

Nur dem verwandten Gemüth ersteigt aus der düstern Ruine

Tief in den Schatten der Nacht wieder der magische Bau.

Doch die kleinliche Welt hängt gleich bei Tage die Wäsche

Und den ekligen Kram in der Ruine mir auf.



(* 1804-11-21, † 1830-01-17)



Weitere gute Gedichte von Wilhelm Friedrich Waiblinger zum Lesen.