Lieder eines Gefangenen


I.

 

Sie sagen mir, daß alle Fluren

Voll bunter Blumen prangend stehn,

Und daß im Hain auf allen Spuren

Des Frühlings süße Düfte wehn.

 

Sie künden mir von Vogelsängen,

Die draußen in der lichten Welt

Aus jeder Brust sich jubelnd drängen,

Weil Lieb′ und Glück die Herzen schwellt!

 

Ich aber, — ich! . . An Eisenstäben

Erprob′ ich meine junge Kraft

Und horche, wie die Gitter beben,

Bis mir mein müder Arm erschlafft!

 

Und mit verweinten, trüben Augen

Vermag ich kaum das Sonnenlicht

Tief in mein zornig Herz zu saugen,

Das von der Menschheit Jammer spricht! . .

 

Ja, spotte nur vor′m Fenster draußen,

Du kleines, fröhlich Vögelein:

Frei dürft in Wald und Flur ihr hausen, —

Wir aber müssen Sklaven sein!

II.

 

Nun hätte schon das Grün begonnen,

Zu lassen seinen frischen Glanz,

Und nach des Lenzes sel′gen Wonnen

Verwelke schon manch′ bunter Kranz.

 

Und bei dem Drang der Aelternsorgen

Verstumme manch′ ein Vöglein schon:

Beim Abendsang, am frühen Morgen,

Es fehle da schon mancher Ton.

 

So hört′ ich von des Frühlings Grabe

Die trübe Kunde zu mir gehen, —

Es stockt das Blut! . . O Gott! ich habe

Nicht Blume und nicht Blatt gesehn! . .

 

In jeder Nacht, an jedem Tage

Hab′ nach den Knospen ich gefragt

Und wie der Baum die Blüthen trage, —

Nun hat Natur sie schon beklagt!

 

Weil meines Herzens feurig Streben

Der Menschheit höchstem Glücke galt,

Und für ein wahres, würdig Leben

Begeistert mir das Blut gewallt,

 

Ja, weil mein Herz mit frischen Schlägen

Dem Lenz, an den es fest geglaubt,

Auf Sturmesflügeln flog entgegen: —

Drum hat man mir den Lenz geraubt! . .



(* 1854-06-13, † 1889-10-08)



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