Eine Nacht auf dem Meer


Das war eine Nacht!

Wer hätte da schlafen mögen!

Funkelnd in Diamantenschmuck

Strahlte der prächtig dunkelblaue

Weltumwallende Himmelsmantel.

Allverwebendes Vollmondlicht,

Träumendes, grenzenlos ergossnes,

Ueberglänzte den Sternenglanz.

Auf flüssigem Silber schwebte das Schiff.

Bläuliche Funken zitterten tanzend

Auf dem unabsehlichen blanken Spiegel.

Bläuliche Flammen, trunkene, flogen

Wirbelnd im brausenden Räderschaum.

Schlanke Delphine, Freunde der Menschen,

Die einzigen unter all den dumpfen,

Wilden Geburten der grausen Tiefe,

Der Tonkunst offen, Freunde der Sänger,

Der Aphrodite alte Gefährten,

Stellten als muntres Geleite sich ein,

Spielten gepaart in der Flut umher,

Tauchten blinkend hervor und schossen

Wie Speere geschnellt im Bogenwurfe

Voraus, als gälte dem Dampf die Wette.

Kräftiger Salzhauch, leichter Nachtwind

Kühlte die Luft, die himmlisch reine.

 

Nach Hellas ging die selige Fahrt.

Tänarisches Vorhaupt war umschifft.

Von Melos herüber wehte ein leiser

Gruß der Göttin, der Meerentstiegnen.

 

Nicht den griechischen Göttern galt es,

Das herzliche Wort, das der welsche Mönch

Ausrief in der nächtlichen Stunde.

Vor mir stand er, ich seh' ihn noch,

Werd' ihn sehen, so lang in der Seele

Erinnerungsbilder treu mir haften,

Vor mir stand die jugendlich schlanke,

Hohe Gestalt im langen schwarzen

Klostergewande, zum Himmel hebend

Die Arme, die lichtvoll dunkeln Augen,

Schmerzlich rufend: »Wie wehe thut mir's,

Daß ich den Mann, den ich liebgewonnen,

Im Gefilde der Seligen einst

Wiederzusehen nicht darf hoffen!«

Ueber die edeln bleichen Züge,

Ueber die feingezognen Brauen

Floß von oben das sanfte Licht.

 

Er hatte das Lager wie ich verschmäht,

Neben den Einsamen sich gesetzt,

Mit offner Seele mir vertraut,

Daß er als Bote des Christenglaubens

Fernhin reise in's Land der Mitte.

Schwere Gefahren drohte das Ziel.

Mörderisch waren vor kurzem erst

Verkünder des Worts erschlagen worden.

Heiter entschlossen zog er dahin,

Wagte getrost sein junges Leben.

 

Mit kindlichen Herzens reiner Einfalt

Fragt' er und fragte nach meinem Glauben.

Red' und Antwort weig're ich nicht,

Ich duld' es, daß er sich unverhohlen

Eifrig an's Werk macht, mich zu bekehren;

Hell ja lag wie die klare Mondnacht

Vor mir dieses Gemüthes Unschuld.

Strenger Beweise geschlossne Reihen

In altverrosteten Kettenpanzern

Führt er siegesgewiß in's Feld.

Wärmer und wärmer zu kämpfen reizt ihn

Meiner Entgegnungen spärlich Wort;

Endlich, da ich ihm Wahrheit schulde,

Freundlichen Tones ihm bekenne,

Daß ich im eigenen Lager selbst

Nicht zu der Gläubigen Schaar mich zähle,

Seufzt er und richtet sich auf und schickt

Die rührende Klage zum Himmel empor.

 

Ich drückt' ihm schweigend die weiche Hand. –

Noch Eine Hoffnung war ihm geblieben:

Er werde mir vor dem Scheiden, sagt' er,

Ein Buch noch geben, darinnen alles

Gedruckt zu lesen, was unentrinnbar

In der heiligen Kirche Mutterarm

Den härtesten Zweifler lenken müsse.

 

Wir giengen ruhen, dem Schlaf sein Recht,

Das lang geweigerte, noch zu gönnen.

 

Die Räder schweigen, das Schiff steht still.

Aus tiefem Schlummer emporgerüttelt

Eil' ich auf Deck. Wir sind in Syra.

»Schnell in die Barke!« ruft der Hauptmann.

Ich durfte nicht säumen, ich war am Ziel;

Nach andern Gestaden fern im Osten

Strebte das Schiff und der Halt war kurz.

Den Priester zu suchen blieb nicht Zeit.

Ich habe den Mann nicht wiedergesehen,

Kein Lebewohl mehr konnt' ich ihm sagen,

Er schlief noch fest, das versprochene Buch,

Der Gute, er konnt' es mir nicht mehr reichen.

 

Ich bin in Hellas. Griechische Laute

Tönen an's Ohr mit weichem Klang,

Griechische Lüfte umwehn die Stirne.

Noch wenige Tage, und wandeln werd' ich

Auf attischem Boden und werde wallen

Hinauf zu der Jungfrau Heiligthum,

An den zerbrochenen Marmorhallen

Stehen und schauen. Götterhäupter

Seh' ich aus silberner Wolke nicken.

O Pallas Athene und Vater Zeus

Und Dionysos, Traubengeschmückter,

Und all ihr Hohen, was wisset ihr

Von dem dunkeln Priester des fremden Gottes

Und doch, ihr duldet sie neben euch,

Gegraben in meiner Seele Grund,

Die Gestalt des Mönches, des weltlos armen,

Der so bereit, so liebevoll

Bekümmert um seiner Brüder Heil,

So hoch getragen von seines Wahnes

Entzückten Gesichten still dahinfährt

In sein Geschick, das gewitterschwere.

Denn ihr kennt die Begeisterung,

Die todesmuthige, schicksalgefaßte,

Du auch kennst sie von Angesicht,

Dionysos, feuriger Gott,

Leidenkundiger!

Sahst sie mit göttlichen Schmerzes reinem

Wohlgefallen im traurig schönen

Schauspiel über die Bühne schreiten,

Von Wehklage des Chors begleitet,

Hinab zum Hades.

So zeichne nur immer, reines Mondlicht,

Mitten hinein in die göttlich klare

Krystallene Nacht – es entstellt sie nicht –

Das Bild des Priesters, wie er die Arme,

Wie er die feuchten, großen Augen

Empor zum sternebesäten ew'gen

Gezelte mit innigem Seufzen richtet.



(* 1807-06-30, † 1887-09-14)



Weitere gute Gedichte von Friedrich Theodor Vischer zum Lesen.