Der deutsche Kaiser


Eine Vision.

 

Erster Gesang.

 

Den Fürstenbund seh’ ich in Frankfurt am Main

Sehr weise beisammen. Was thut er?

Er wählt einen Kaiser von Deutscheland sich

Mit Majorität, absoluter.

 

Es ist ein Mann aus dem Fürstengeschlecht,

Man sieht’s an der prachtvollen Nase;

Sie schreien und schreien Hurrah und Hurrah,

Und gerathen beinah’ in Extase.

 

Bedingung der Wahl war: Richtiges Deutsch,

Vernunft und bill’ge Regierung,

Eine höchste Geburt, ein adliges Herz

Und bürgerliche Manierung.

 

Das Alles vereinigte Gottlieb in sich,

Kaiser Gottlieb von Deutschland der Erste;

Er war, als man rings die Tugenden wog,

Sehr balde erkannt als der Schwerste.

 

Von Figur war er klein, die Haltung war schlicht,

Die Constitution etwas mager;

Mund, Nase und Aug’ waren freundlich und groß,

Die Beine indessen sehr hager.

 

Das Purpurornat war ihm viele zu lang,

Er thät auch darob sich beklagen;

Dagegen sah’ man mit sanftem Gemüth

Ihn Zepter und Reichsapfel tragen.

 

Die Krone, sie wackelte hin und auch her,

Sie war ihm zu weit auf dem Haupte,

Weshalb man, zur Sicherheit, unter dem Kinn

Sie anzuschnall’n sich erlaubte.

 

Auf der Brust war ein roth Schild mit Schwarz und mit Gold,

Wodurch sich die Einigkeit machte;

Die Größe des Augenblicks wurde gestört,

Weil einer der Zuschauer lachte.

 

Zweiter Gesang.

Und Gottlieb erhob sich und sprach: »Meine Herr’n,

Entschuldigen Sie: Ich bin Kaiser!

Und, fall’s der Himmel mein Flehen erhört,

Ein guter, gerechter und weiser.

 

Das deutsche, das große und einige Volk,

Mein Volk hat es selbst so gewollet;

Ich bin seine Macht, seine Kraft wenn der Feind,

Der äuß’re und innere grollet.

 

Durch göttlichen Beistand, mit Rath und mit That

Meiner hohen, durchlauchtigen Vettern

Werd’ Ich immer beschirmen die feindliche Macht,

Und die Größe Deutschlands zerschmettern!

 

Nein, wollt’ Ich sagen: die Macht Meines Reich’s

Beschirmen, die Feinde zerschmettern!

Durch göttlichen Beistand mit Rath und mit That

Meiner hohen, durchlauchtigen Vettern.

 

Ich hab’ einen ganz neuen Bundestag auch –

Der alte, das war ein höchst trister, –

Und damit durch Mich nie ’was Dummes geschieht,

Auch verantwortliche Minister.

 

Meine Krone ist erblich und ewig, doch soll

Stets ein männliches Glied sie nur tragen,

Und nimmermehr wird, deutscher Kaiser zu sein,

Eine Frau und ein Jungfräulein wagen!«

 

Dies ernste Geheiß ward vom Volk applaudirt,

Worauf sich der Kaiser verneigte,

Und, soweit es erlaubt das schwere Ornat,

Sich huldvoll herablassend zeigte.

 

»Mir ward,« fuhr er fort, »’ne Civilliste auch,

Jedoch mit möglichstes Schonung:

Dreißig Thaler pro Monat und außerdem noch

Frei Holz, frei Licht, freie Wohnung.

 

Ich will, so schwör’ Ich, ein Bürger nur sein,

Will bürgerlich leben und sterben,

Und was von der Civilliste übrig Mir bleibt,

Das sollen die Arbeiter erben!

 

Die Kais’rin, Mein Gemahl, aus dem Wochenbett kaum

Und noch wieder nicht recht auf den Füßen,

Sie läßt, wie der neugebor’ne Prinz Karl,

Sie herzlich und gnädiglichst grüßen.«

Dritter Gesang.Drauf sah’ ich den Kaiser von Deutscheland

Umarmt von dem König von Preußen,

Und vornehm und lächelnd verneigen sich auch

Den Gesandten des Herrn aller Reußen.

 

Auch der Kaiser von Oestreich umarmete ihn;

Es lagen ihm ferner am Halse

Die Kön’ge von Sachsen und Würtemberg,

Und der von Bai’rn ebenfallse.

 

Auch der King von Hannover ritt muthig heran

Und küßte herab ihn vom Rosse;

Auch die Fürsten und Herzöge eilten herbei

Mit all ihrem glänzenden Trosse.

 

Auch Gera, Waldeck und Lippe-Detmold

Sie hingen an höchstseinen Lippen;

Auch Reuß-Greiz-Schleiz-Lobenstein-Eberswald

Thät höchstseine Lippen benippen.

 

Auch mußt’ Majestät von Frankfurt am Main,

Von Hamburg und Lübeck und Bremen

Einen feurigen, republikanischen Kuß

Entgegen als Huldigung nehmen.

 

Drauf trug man ein Bild der Germania her,

Die küßte der Kaiser sehr innig;

Er küßte das ganze deutsch-einige Volk

In sothaner Manier äußerst sinnig.

 

Und als drauf das Küssen vorüber nun war,

Lud der Kaiser die Fürsten zu Tische:

Die Kaiserin warte schon mit dem Ragout,

Auch gäbe Salat es und Fische.

 

Die Fürsten aber, sie lehnten es ab:

Sie könnten nicht lange mehr bleiben; –

Sie müßten zu höchstihren Völkern zurück

Und Regierungsgeschäfte betreiben.

 

Sie schieden mit Inbrunst, indessen von fern

Kanonendonner erkrachte;

Die Größe des Augenblicks wurde gestört,

Weil einer der Zuschauer lachte.

 

Vierter Gesang.

Der Kaiser von Deutschland ging nun zu Tisch,

Und genoß dazu einen Schoppen,

Und ließ von einem Reichskammerherrn sich

Eine Pfeife mit Varinas stoppen.

 

Fünfter Gesang.Er rauchte und trank eine Schaale Kaffee,

Nahm Abschied darauf von der theuern

Gemahlin, der Kais’rin, denn diese ließ nun

Von ihrem Dienstmägdelein scheuem.

 

Der Kaiser, er brummte ein Lied vor sich hin

Und ging vor das Thor promeniren;

Dort sah er mit majestätischem Blick

Rekruten im Staub exerciren.

 

Er sah, wie die Kinder beiden Geschlechts

Im Grase sich sonnten und wonnten;

Die Minister, sie gingen stets hinter ihm her,

Damit sie verantworten konnten.

 

Im Wirthshaus zum Krebse geruhete er

Am Gerstensaft sich zu erquicken,

Und griff der Kellnerin allerdurchlauchst

In die Wangen, die rothen und dicken.

 

Die Kellnerin aber verstand keinen Spaß;

Sie sagte: Das lassen’s halt bleiben!

Sonst werd’ ich unserm Reichskammergericht

Solche Uebergriffe beschreiben!

 

Das hörten die Gäste und standen ihr bei,

Es entspann ein Streit sich urplötzlich;

Die Minister, sie schoben den Kaiser hinaus,

Weil seine Person unverletzlich.

 

Sie nahmen die sämmtlichen Folgen auf sich,

Und sah’n sich bald wieder im Freien;

Sie schüttelten ihre Köpfe darob,

Wie leicht sich die Deutschen entzweien.

 

Sie setzten den Kaiser in eine Kalesch,

Und fuhren nach Hause und spielten;

Sie spieleten Boston, der Kaiser sah’s nicht,

Wie sie in die Karten ihm schielten.

 

Sie spielten Revolution und Misere,

Bis daß die Talglichter erloschen;

Der Kaiser, er hatte schreckliches Pech,

Er verlor Einen Thaler Acht Groschen.

 

Letzter Gesang.

Noch sah ich den Kaiser dem Schlummer sich weihn,

Trotz des Schreiens von seinem Herrn Sohne;

Er trug noch die Krone, auf daß unser Reich

Keine Nacht wär’ ohn’ seine Krone.

 

Er stand noch am Bett eine Kleinigkeit still

Bei der Nachtlamp’ spärlicher Glimmung;

Höchst wahrscheinlich dachte er Allerhöchst nach

Ueber seine Allerhöchste Bestimmung.

 

Dann sah’ ich ihn schlafen so sorgenlos süß;

Ich hörte melodisch ihn schnarchen;

Er schlief fast wie ein ganz gewöhnlicher Mensch,

Der größeste aller Monarchen!

 

Und Deutschland war einig und mächtig und stark!

Seine Völker, es war’n seine Preiser!

Und alles Dieses und Alles allein

Durch seinen nothwendigen Kaiser!

 

O schöner, o lieblicher, herrlicher Traum,

Auch du bist vorbei – ich erwachte!

Mein Arzt stand bei mir und lachte so arg,

Daß ich selber von Herzen mitlachte.



(* 1810-03-27, † 1876-10-25)



Weitere gute Gedichte von Adolf Glaßbrenner zum Lesen.