Lied eines Schweizers an sein bewafnetes Mädchen


Mein Herr.

 

Ich fühl ein Vergnügen nur halb, wann sie es nicht mitgeniessen; werden sie hier nichtein Lied mit Vergnügen lesen, das ich vorgestern in einem Band von uralten, ohne sonderlicheWahl zusammen geschriebenen Geschichten und Liedern gefunden? Es schildert die Empfindungen, dievor etwa 400 Jahren ein junger Schweitzer gefühlt, da er sein Mädgen, oder seineBuhlschaft im Harnisch sahe. Sie müssen wissen, daß die Mädgen jener Zeiten, wannsich ein Feind an ihre Mauern wagte, Scherz und Spiel verliessen, sich mit Helm und Harnischbedeckten, und bewafnet an der Männer Seite fochten. Bedenken sie doch, wie schöndiß muß gelassen haben, wann ein Heer von Mädgen unter blankem Harnisch denkleinen Fuß Glieder-weis durch die Stadt fortsetzte; wär ich Feind gewesen, ichhätte allemahl mein Leben gewagt, ein Paar von diesen Heldinnen zu meinen Kriegs-Gefangenen zumachen, oder ich hätte mich willig als ihr Gefangener hingegeben. Doch hier ist das Lied:

 

1.

Wie seh ich, seh ich nicht mein Kind!

Was blendt mein zweifelnd Aug?

Ein zitterndes ein helles Licht,

Blitzt von dem blanken Helm.

 

2.

Ein weiß und rother Feder-Busch

Fliegt rauschend in der Luft,

Dein braunes Haar fließt aus dem Helm;

Und flieget mit dem Busch.

 

3.

Ein Harnsch deckt deinen weissen Leib,

Und deine zarte Brust,

O böser Harnsch, jetzt seh ich nicht,

Wie sie sanft schmachtend steigt.

 

4.

Doch froh! ich seh dein rundes Knie,

Den wohlgemachten Fuß,

Den sonst dem Aug ein langes Kleid

Bis auf die Erd entzog.

 

5.

Dem Engel der das Paradies

Vor dem bewachet hat,

Dem gleichest du mein schönstes Kind

In dieser blanken Tracht.

 

6.

Er drohte nur dem bösen Feind,

Und lacht dem Frommen zu.

Dein blaues Aug droht unserm Feind,

Und mir mir lacht es froh.

 

7.

Des frechen Feindes scharffer Pfeil

Zisch neben dir vorbey,

Dich treffe nur der sanfte Pfeil

Vom kleinen Liebes-Gott.

 

Ich hab es in unsre Sprach übersetzt, weil sie der Alten nicht mächtig sind;gefällt es ihnen nicht recht wohl, so geben sie der Übersetzung Schuld.

 

Wie leben sie mit ihrem Mädgen? In wenig Tagen werd ich sie besuchen: Ihr braunes Aug sollmich dann wieder schalkhaft anlachen, wann ich ihr noch einmahl sage, daß ein Kuß vonihr mich ganze Tage froh macht. Leben sie wohl!



(* 1730-04-01, † 1788-03-02)



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