Ein Schmerzgesang


Es hat ein wehmutvolles Lied

Den stillen Wald durchklungen,

Das hat voll Trauer, als sie schied,

Die Nachtigall gesungen:

 

Leb wol, leb wol, du kühler Wald,

Die welken Blätter fallen,

Und Todeshauch durchweht dich bald -

Ich zieh aus deinen Hallen.

 

Ich flieh mit heißem Liederschmerz

Aus deinen kalten Armen,

Und fache mir ein anderes Herz,

An den ich kann erwarmen;

 

Es weichen wieder Duft und Kuß

Mich wiegt in helle Träume -

O, daß ich von euch scheiden muß -

Ihr lieben, lieben Bäume!

 

Glaubt nicht, daß ich die Seligkeit,

Den Jubel kann vergessen,

In dem ich oft zur Frühlingszeit

Auf grünem Zweig gesessen.

 

Der ersten Rose, die ich seh,

Will ich es singend klagen

Mein altes, tiefes, stilles Weh,

Und sie um Mitleid fragen.

 

Zum ersten Hain, zum ersten Wald

Will ich im Fluge schweben,

Und seine stillen Räume bald

Mit meinem Schmerz beleben.

 

Und will ihm singen, daß mein Lied

Darum so schmerzlich klage,

Weil jener Wald, von dem ich schied,

Kein einzig Blatt mehr trage.

 

Weil Blume, Duft und Sonnenstral

So schnell vergehen wieder,

Darum sing ich in banger Qual

So wehmutvolle Lieder.

 

Weil jedes Glück, weil jede Lust

So bald, so bald verklungen - -

So hat im Wald aus wunder Brust

Die Nachtigall gesungen.



(* 1819-08-20, † 1904-05-30)



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