Verwandlung


Ich sah dich noch ein lieblich Kind,

Umflattert von der Unschuld Träumen,

Wie Knospen, die am Aufblühn sind,

Und schüchtern, aufzublühn noch säumen;

Schon waren alle Reize dein,

Dich ahnungsvoll vorauszuschmücken,

Und wer dich sah, sprach mit Entzücken:

Wie schön wird einst dies Mädchen sein!

 

Ich sah dich wieder - Jahr und Tag

War unterdes dahingegangen;

Anstatt der Jugendrosen lag

Ein stiller Gram auf deinen Wangen.

Doch welche Hoheit war noch dein!

In deinen Blicken welche Sonne!

Ich sprach zu mir mit Schmerz und Wonne:

Wie schön muß sie gewesen sein! -

 

Ich sprach dich, welche Milde floß

Und welche Anmut dir vom Munde,

Wie stand′st du da, wie rein und groß,

Verhüllend deines Herzens Wunde;

Dein edles Herz, dies blieb ja dein,

Das wird dich stets am meisten schmücken,

Ich fühl′s mit innigem Entzücken:

So schön, so wirst du immer sein!



(* 1820-01-22, † 1905-06-18)



Weitere gute Gedichte von Hermann Lingg zum Lesen.