Brot


(Nach Pierre Dupont)

 

Wenn am Gestad´ und in den Lüften

Sich keine Mühle mehr bewegt;

Wenn, müßig weidend auf den Triften,

Der Esel keinen Sack mehr trägt:

Dann, wie ein Wolf, am hellen Tage

Kühn tritt der Hunger in das Haus;

Ein Wetter rüstet sich zum Schlage,

Und durch die Luft geht ein Gebraus:

Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten,

Des Volkes nicht, das hungernd droht!

Denn die Natur hat ihn geboten,

Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not!

 

Der Hunger kommt vom Dorf gegangen,

Einzieht er durch der Städte Tor;

So haltet ihm doch eure Stangen

Und eure Trommelstöcke vor!

Trotz Pulver und Kartätschenschauer

Rasch wie ein Vogel ist sein Lauf,

Und auf der allerhöchsten Mauer

Pflanzt er sein schwarzes Banner auf.

Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten,

Des Volkes nicht, das hungernd droht!

Denn die Natur hat ihn geboten,

Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not!

 

Laßt eure Söldnerhaufen kommen

In gleichem Schritt, mit gleicher Wehr!

Der Scheuer und der Flur genommen,

Hat Waffen auch des Hungers Heer;

Es reißt die Schaufel aus der Scholle,

Die Sense reißt es aus dem Korn;

Sogar des Mädchens Brust, die volle,

Pocht an die Kolbe ihren Zorn.

Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten,

Des Volkes nicht, das hungernd droht!

Denn die Natur hat ihn geboten,

Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not!

 

Packt, in des Volkes mut´gen Reihen,

Wer Sichel oder Flinte trägt!

Laßt immer das Gerüst uns dräuen,

Auf dem das Beil den Kopf abschlägt!

Hat es, in finst´rer Schauer Mitten,

Hat es, die Luft durchzuckend scheu,

Der Opfer Leben nun zerschnitten,

Dann tut ihr Blut noch diesen Schrei:

Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten,

Des Volkes nicht, das hungernd droht!

Denn die Natur hat ihn geboten,

Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not!

 

Brot tut uns not! Brot muß man haben!

Wie Luft und Wasser tut es not!

Wir sind des alten Herrgotts Raben:

Was er uns schuldet, ist das Brot!

Doch seht, die Schuld ist abgetragen:

Er gab uns Land zur Ährenzucht,

Und kann nicht noch zu allen Tagen

Die Sonne reifen unsre Frucht?

Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten,

Des Volkes nicht, das hungernd droht!

Denn die Natur hat ihn geboten,

Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not!

 

Die Welt ist halb noch Wildnis eben –

Und sollte doch aus Korn und Mais

Ein blonder Gürtel sie umgeben

Vom Pol bis an den Wendekreis!

Laßt uns der Erde Schoß zerreißen!

Laßt uns – wir schlugen uns genug! –

Laßt uns des Krieges schneidend Eisen

Verwandeln in den stillen Pflug!

Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten,

Des Volkes nicht, das hungernd droht!

Denn die Natur hat ihn geboten,

Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not!

 

Der Kabinette Tun und Lassen,

Was gilt es unserm Bienenschwarm?

Wozu noch für der Fürsten Hassen

Bewaffnen den Zyklopenarm?

Das Volk ein Meer! Vom nackten Herde

Braust es heran und schwillt und droht!

Erbebt – und gebt dem Pflug die Erde,

Und nimmer fehlen wird das Brot!

Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten,

Des Volkes nicht, das hungernd droht!

Denn die Natur hat ihn geboten,

Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not!



(* 1810-06-17, † 1876-05-18)



Weitere gute Gedichte von Ferdinand Freiligrath zum Lesen.